Schüler wechseln die Perspektive

Bei Initiative „Behindertensport macht Schule“ lernen junge Gymnasiasten Rollstuhlbasketball kennen
Bühl. 14 Rollstühle stehen nebeneinander aufgereiht an der Trennwand der Bühler Schwarzwaldhalle. Noch sind sie leer, doch in wenigen Minuten werden Schüler des Windeck-Gymnasiums sie ausprobieren. Der Badische Behinderten- und Rehabilitationssportverband (BBS) macht mit seiner Initiative „Behindertensport macht Schule“ Halt an der Schule.
In jeweils einer Doppelstunde lernen hier die Schüler der fünften, siebten und achten Klasse, was es heißt, im Rollstuhl Sport zu machen – und zwar Basketball. Einweisungen erhalten sie dabei vom Profi: Marco Hopp ist seit einem Verkehrsunfall 1992 unterhalb des zehnten/elften Brustwirbels querschnittsgelähmt und erfolgreicher Rollstuhlbasketballer. 23 Jahre lang betrieb er Leistungssport bis in die Erste Bundesliga. Er war deutscher Meister und spielte auch für die Nationalmannschaft.
Die dritte Doppelstunde beginnt. 17 Siebtklässler sehen sich zuerst einen Film über die Paralympics an. Danach finden sie gemeinsam mit Hopp heraus, welche Unterschiede es zwischen einem Alltagsrollstuhl (in so einem sitzt Hopp) und dem Sportrollstuhl gibt. Dessen Räder stehen schräg, denn so kann man sich besser drehen. Und sicherer ist es auch. Außerdem gibt es einen Abweiser („Stoßstange“). Interessiert machen die Schüler mit. Dann dürfen sie endlich selbst im Rollstuhl Platz nehmen.
Wichtig sei der Perspektivwechsel, erklärt Robin Früh, der als Referent des BBS in der Schwarzwaldhalle dabei ist. „Man kann sich schwer vorstellen, wie es sich im Rollstuhl anfühlt. Die Schüler sollen vertrauter damit werden.“ Sie lernten, dass es ganz andere Barrieren im Spiel gebe und bekämen einen anderen Blick, so Früh. Hopp ist es ein Anliegen, die Schüler für Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren und ihnen einen Einblick zu gewähren. „Es geht auch darum, soziale Kompetenzen untereinander zu schaffen. Denn auch ohne Behinderung gibt es immer Außenseiter, die schlechter sind“, erklärt der Sportler.
In ihren Rollstühlen reihen sich die Siebtklässler nebeneinander auf. Marco Hopp erklärt, was sie beim Fahren und Spielen beachten müssen: Oberkörper nach vorne, beim Bremsen die Räder ganz festhalten, zum Rückwärtsfahren nacheinander die linke und die rechte Hand benutzen. Die Schüler sind aufgedreht, machen direkt alles nach. Hopp muss sie einige Male in ihrem Tatendrang bremsen, damit sie ihm nicht davonfahren, bevor er fertig ist mit erklären. Sie haben sichtlich Spaß an dem etwas anderen Sportunterricht.
Seit mehr als neun Jahren gibt es die Initiative „Behindertensport macht Schule“ des BBS bereits. Marco Hopp ist von Anfang an dabei. „Ich habe das Projekt damals mit dem BBS-Geschäftsführer Michael Eisele geboren“, erklärt er. Er schätzt, dass er selbst als Referent inzwischen bis zu 6 500 Jugendliche erreicht hat. „Jedes Schuljahr gehen wir an 25 Schulen, wo wir jeweils drei Einheiten haben“, ergänzt Robin Früh. Nicht nur Rollstuhlbasketball lernen die Schüler dann kennen, auch Blinden-Torball, Biathlon mit Sehbehinderung, Schwimmen und Rollstuhlrugby stellt der BBS den Schülern aller Jahrgänge vor. „Es ist interessant zu beobachten, wie unterschiedlich die Jugendlichen mit dem Thema umgehen“, meint Früh. So sei es für Fünftklässler noch mehr ein Spiel, Zwölftklässler dagegen würden schon mehr darüber nachdenken. „Es ist für die Schüler ein Erlebnis. Sie lernen alles von Grund auf – und weil es so ungewohnt ist, werden am Ende die Arme auch schwer“, so Früh über Rollstuhlbasketball. „Das Projekt wird sehr positiv aufgenommen“, stimmt Hopp zu. Er macht als Referent mit Behinderung auch die Beobachtung, dass Kinder unvoreingenommener sind. „Sie trauen sich, mehr zu fragen. Sie haben Spaß an der Sache und streiten sich sogar, wenn einer mal länger im Rollstuhl sitzt.“ Denn nicht für jeden Schüler ist ein Rollstuhl da. Vier Jungen sitzen auf der Bank und schauen zu, wie ihre Mitschüler üben, im Rollstuhl mit dem Ball umzugehen, ihn aufzuheben und zu dribbeln. Auch sie sind kurz vorher schon in den Stühlen durch die Halle gerollt. Ihnen gefällt die Sportstunde bisher sehr gut. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist“, gibt Rouven zu. Er findet, die Sportstunde gibt einen guten Einblick. Lars gefällt, „dass man auch die andere Welt des Sports kennenlernt“. Und Emilio fügt hinzu, dass das Projekt darauf aufmerksam mache, auch an andere zu denken. Joshua meint: „Mir gefällt vor allem, wie es sich anfühlt, im Rollstuhl zu sitzen.“ Das wollte auch Thomas Senski, Sportfachvertreter des Windeck-Gymnasiums, einmal testen und mischte sich unter die Schüler. Sein Fazit: „Es ist super. Ich hätte gedacht, dass es viel schwieriger ist.“ Zum ersten Mal ist die Initiative an seiner Schule. „Es ist praktisch und erfordert wenig Aufwand“, so Senski. Die Kinder seien recht diszipliniert, obwohl es ihre sechste Schulstunde ist. Nach anfänglichen Fahr-, Dribbel- und Wurfübungen steht am Ende der Doppelstunde endlich ein Spiel an. Schnell rollen die Schüler durch die Halle und werfen sich den Ball zu. Kaum zu glauben, dass sie erst vor knapp einer Stunde zum ersten Mal in einem Rollstuhl saßen. Das Üben hat sich ausgezahlt: So landen einige Würfe zielsicher im Korb.
Lara Teschers
Quelle:
Lara Teschers
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